Anfangssituation - Reaktion der Umwelt

Axel wurde in einer Arztpraxis geboren. Es war eine ambulante Geburt und ging sehr schnell. Axel hatte es ungeheuer eilig, die ungemütliche Situation im Geburtskanal zu überwinden.

Die Hebamme erkannte sofort das Down-Syndrom und holte die behandelnde Frauenärztin hinzu. Diese untersuchte Axel sehr gründlich und machte uns darauf aufmerksam, dass einige Anzeichen für eine Chromosomenanomalie sprechen würden. Sie empfahl uns eine Chromosomenanalyse und die Suche nach Ähnlichkeiten in der Familie.

Wir hatten zu Hause ein Plakat vorbereitet, in das wir die Geburtsdaten von Größe, Gewicht und Namen eintrugen und ergänzten es durch die Bitte, mit Gratulationen eine Woche zu warten. Das gab uns Zeit, uns mit dem Baby in Ruhe zu beschäftigen und nach Ähnlichkeiten in der Familie zu suchen. Axel erwiderte so aufmerksam und interessiert jeden Blickkontakt, dass wir uns ein Down-Syndrom gar nicht vorstellen konnten. Doch es gab auch Momente, in denen er unbeobachtet war und dann ganz in sich versunken und nach innen gewendet wirkte. Solche Momente verunsicherten uns. Doch dachten wir: Wenn wir von Anfang an denken, er habe Down-Syndrom, dann projizieren wir vielleicht etwas in ihn herein, das auf seine Entwicklung negativen Einfluss haben könnte. Das kann nicht gut für ihn sein.

Bei der Blutabnahme für die Chromosomenanalyse schrie Axel sich blau. Dann gab es eine Ultraschalluntersuchung vom Herz. Der Herzfehler: kompletter AV-Kanal war ganz typisch. Nun wussten wir definitiv, dass Axel Down-Syndrom hat. Die Ärztin klärte uns auf, dass dieser Herzfehler, wenn er nicht operiert wird, später zu Sauerstoffmangel im Gehirn führen kann und das Kind sich deshalb geistig nicht adäquat entwickeln kann. Diese Erklärung führte dazu, dass ich in ständiger Sorge lebte, bis die Herzoperation vorüber war. Doch diese Erklärung machte mir auch Mut, denn das bedeutete, dass die meisten Kinder mit Down-Syndrom heute ein ganz anderes Entwicklungspotential entfalten können, als das früher der Fall war. Das heißt, dass wir über ihre geistigen Möglichkeiten gar nichts wissen. - Vorurteile ade! Die in der Schwangerschaft entstandenen Gefühle und Vorstellungen über das lebhafte und aufgeweckte Baby wurden von uns nicht beerdigt!

Zu Hause angekommen luden wir unsere Eltern ein und anschließend unsere Nachbarn. Wir wollten nicht, dass hinter unserem Rücken getuschelt wird. Die Behinderung sieht man doch früher oder später, warum also verheimlichen?

Reaktionen und unsere Antworten darauf:

  • Reaktion: Hätte sich das nicht vermeiden lassen? Heute gibt es doch so viele Möglichkeiten, schon vor der Geburt etwas festzustellen.
  • Antwort: Wir haben bewusst auf eine Fruchtwasseruntersuchung verzichtet, weil die Gefahr, ein gesundes Baby zu verlieren, größer ist, als die, ein Baby mit Behinderung zu bekommen. Ausserdem könnte ein gesundes Baby durch solch eine Untersuchung geschädigt werden. Diese Gefahr war uns zu groß!
  • Reaktion: Du hast doch in der Schwangerschaft gar keinen Alkohol getrunken (früher glaubte man, Alkoholismus führe zu mongoloiden Kindern), wie kommt so etwas zustande?
  • Antwort: Es ist eine Laune der Natur, eine Art Mutation, die zur Evolution dazu gehört. Jeder kann davon betroffen sein.
  • Reaktion: Warum gerade ihr?
  • Antwort: Es ist keine Strafe, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen. Vielmehr sehen wir es als interessante, spannende Aufgabe, diesem Baby bei seiner Menschwerdung zu helfen.
  • Auf der Straße: Ach was für ein süßes Baby. Wie geht es dir?
  • Antwort: Uns geht es gut. Das Baby hat zwar Down-Syndrom. Aber es geht ihm und uns gut. --- Diese Art der Antwort hat sofort jedes Eis gebrochen. Leute erzählten uns, dass sie auch jemanden kennen mit DS oder von anderen Behinderungen. Sie stellten uns dieselben Fragen, die wir uns auch anfangs gestellt haben. Doch wir waren in allem den Fragenden einen Schritt voraus, sodass wir viel Aufklärungsarbeit in unserer Nachbarschaft leisten konnten und alle Leute ganz normal mit uns und unseren Kindern einschließlich Axel umgehen.
  • Reaktion: Gaffen
  • Antwort: Stolzer Blickkontakt zum Gaffer. Dieser schaut dann entweder beschämt weg (1mal erlebt), oder es entsteht ein interessantes Gespräch, dass zur Aufklärung unserer Umwelt und zur Beseitigung von Vorurteilen beitragen kann.
  • Alles in allem gesehen, sind wir froh, so offen mit dem Thema Down-Syndrom umgegangen zu sein und hatten das große Glück, in der Familie von Anfang an Unterstützung zu finden - auf beiden Seiten. Dafür sind wir sehr dankbar!

    (Sabine Häusler)